Mittwoch, 3. August 2011

Der Mut zur Wahrheit (aus "Junge Freiheit")

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Heute erlaube ich mir, einen Artikel der Berliner Wochenzeitung "Junge Freiheit" zu veröffentlichen, ohne vorher um Genehmigung gebeten zu haben. Ich hoffe, sie werden mir vergeben. Aber ich finde den Artikel über S. Em. Clemens August Kardinal Graf von Galen und seinen "Mut zur Wahrheit" hervorragend (im wahrsten Sinne des Wortes), und dem Artikel ist m.E. größtmögliche Verbreitung zu wünschen.

Es ist nicht nur zu wünschen, dass möglichst viele unserer ach so "aufgeklärten" Bürger diesen Artikel lesen, es wäre auch zu wünschen, dass die Verantwortlichen in Politik, Wirtschaft, Kultur UND (besonders) Kirche den Artikel von Jürgen Liminski zu lesen bekämen. Auch das Verschweigen und Vertuschen der Wahrheit, womit wir es heute überall zu tun haben, ist Unwahrheit, ist Lug und Betrug an der Gesellschaft, ist ist sträfliche Missachtung der Verantwortung, die man an der Gesellschaft hat, ist Missachtung des "Bewusstsein[s] seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen" (Grundgesetz, Präambel). Ein Schweigen zu gesellschaftlichen Missständen, wie z.B. dem Töten Unschuldiger, ist Vorschubleisten der Unwahrheit. Mit dem Schweigen unterstützt man die Missstände, mit dem Schweigen wird man Mit-Täter.

Ich möchte höchst ungerne den nachfolgenden Generationen Rechenschaft ablegen müssen, warum ich UN-WAHR (der englische Begriff "untrue" [= un-treu] drückt es besser aus) war; ich werde schon genug vor dem himmlischen Gericht zu verantworten haben.

H.H.



Der Mut zur Wahrheit

Von Jürgen Liminski
(Mittwoch, 3. August 2011)

Wie jede Diktatur so lebte auch das Dritte Reich von der Verblendung, der Lüge und der Desinformation. Deshalb ist die Wahrheit, die „Enthüllung der Wirklichkeit“, wie sie der Münsteraner Philosoph Josef Pieper nannte, auch mit die größte Gefahr für Diktaturen. Und es war eine Enthüllung, als der Bischof von Münster, Clemens August Graf von Galen (1878–1946), am 3. August 1941 eine Predigt hielt über den Massenmord an Geisteskranken (Euthanasie) durch die Nationalsozialisten. „In finsterer Zeit hat er das Licht der Wahrheit aufgerichtet und den Mut des Widerstands gegen die Macht der Tyrannei gezeigt“, sagte Papst Benedikt XVI. anläßlich der Seligsprechung des späteren Kardinals am 9. Oktober 2005. 

Clemens August Graf von Galen (2. von rechts) bei seiner Bischofsweihe
in Münster am 28. Oktober 1933 Foto: Wikipedia/Bundesarchiv

Diesen Mut zur Wahrheit hatten nicht alle Bischöfe damals. Es gelang von Galen nicht, die Bischofskonferenz zu einem gemeinsamen Wort für das Leben, für das Naturrecht zu bewegen. Deshalb entschloß er sich, allein auf die Kanzel zu gehen. Er wußte, daß er viel, vielleicht sein Leben risikierte. diese Predigt zu halten. Aber es gebe, sagte er von der Kanzel, „heilige Gewissensverpflichtungen, von denen niemand uns befreien kann, die wir erfüllen müssen, koste es, was es wolle, koste es uns selbst das Leben“. 

Die Predigt wurde mit den anderen beiden Brandpredigten unzählige Male vervielfältigt und sogar von den Alliierten als Flugblätter abgeworfen. Die anderen beiden Predigten wandten sich gegen den Terror der Gestapo und die Enteignung von Ordenshäusern. Auf diese Weise erfuhren viele Deutsche erst von dem bereits laufenden Massenmord an Behinderten und Geisteskranken und man darf annehmen, daß das Regime daraufhin das Morden vorsichtiger anging und dadurch viele Menschen gerettet wurden.  

Von Galen erstattete sogar Anzeige wegen Mordes

Das Euthanasiegesetz war zwar schon knapp zwei Jahre zuvor, am Tag des Kriegsbeginns, dem 1. September 1939 erlassen worden. Aber seine Anwendung geschah im stillen und abseits der ohnehin gegängelten Öffentlichkeit. Dennoch wandte sich der Berliner Kardinal Bertram schon im August 1940 in einem scharfen Schreiben an die Reichskanzlei. Darin wies er auf die „Anerkennung des unersetzlichen Wertes der menschlichen Person“ hin. 

Von Galen ging darüber hinaus. Er enthüllte die Wirklichkeit im nationalsozialistischen Deutschland, als er anprangerte, „daß man (bei der Anwendung der Euthanasie-Gesetze) jener Lehre folgt, die behauptet, man dürfe so genannt lebensunwertes Leben vernichten, also unschuldige Menschen töten, wenn man meint, ihr Leben sei für Volk und Staat nichts mehr wert. Eine furchtbare Lehre, die die Ermordung Unschuldiger rechtfertigen will, die die gewaltsame Tötung der nicht mehr arbeitsfähigen Invaliden, unheilbar Kranken, Altersschwachen grundsätzlich freigibt.“ 

Und er nannte Beispiele: „Der erste Transport der schuldlos zum Tode Verurteilten ist von Marienthal abgegangen. Und aus der Heil- und Pflegeanstalt Warstein sind, wie ich höre, bereits 800 Kranke abtransportiert worden.“ 

Und er ging noch einen Schritt weiter, indem er Anzeige wegen Mordes erstattete: „Als ich von dem Vorhaben erfuhr, Kranke aus Marienthal abzutransportieren, um sie zu töten, habe ich am 28. Juli bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Münster und bei dem Herrn Polizeipräsidenten in Münster Anzeige erstattet.“ 

„Der Löwe von Münster“
 
Er habe dies schriftlich und mit den Worten getan: „Da ein derartiges Vorgehen nicht nur dem göttlichen und natürlichen Sittengesetz widerstreitet, sondern auch als Mord nach Paragraph 211 des Reichsstrafgesetzbuches mit dem Tode zu bestrafen ist, erstatte ich gemäß Paragraph 139 des Reichsstrafgesetzbuches pflichtgemäß Anzeige und bitte, die bedrohten Volksgenossen unverzüglich durch Vorgehen gegen die den Abtransport und die Ermordung beabsichtigenden Stellen zu schützen und mir von dem Veranlaßten Nachricht zu geben.“  

Diese Predigt Galens steigerte die Wut der Nationalsozialisten ins Maßlose. Hohe Parteifunktionäre forderten, dem Bischof einen Schauprozeß zu machen und ihn auf dem Domplatz von Münster öffentlich zu hängen. Doch Goebbels und Hitler erkannten, daß ein solches Vorgehen ihnen in diesen Kriegszeiten mehr schaden als nutzen würde. Der Bischof war zu diesem Zeitpunkt schon zu bekannt – über seine Diözese hinaus wurde er wegen seines Muts „der Löwe von Münster“ genannt –, so daß das Regime sich nicht traute, gegen ihn persönlich vorzugehen. 

Aber mindestens zehn Priester wurden festgenommen und in Konzentrationslager verbracht, viele Laien wurden wegen der Verbreitung der Predigt verhaftet. Die Abrechnung mit dem Bischof und überhaupt dem Klerus sollte nach dem „Endsieg“ erfolgen. 

Galens Sätze haben nicht an Bedeutung verloren
 
„Du sollst nicht töten! Dieses Gebot Gottes, des einzigen Herrn, der das Recht hat, über Leben und Tod zu bestimmen, war von Anfang an in die Herzen der Menschen geschrieben, längst bevor Gott den Kindern Israels am Berge Sinai sein Sittengesetz mit jenen lapidaren, in Stein gehauenen, kurzen Sätzen verkündet hat.“ Man kann von Galens Worte auch als prophetisch bezeichnen. Und es bedarf keiner politisch-militärischen Gewaltdiktatur, es reicht schon die Meinungsdiktatur, die Verhüllung der Wirklichkeit durch politische Korrektheit und durch Schweigen, um die Bedeutung solcher Sätze von Galens auch für unsere Zeit zu sehen.  

„Wenn einmal zugegeben wird, daß Menschen das Recht haben, unproduktive Mitmenschen zu töten, (…) dann ist grundsätzlich der Mord an allen unproduktiven Menschen, also an den unheilbar Kranken, den arbeitsunfähigen Krüppeln, den Invaliden der Arbeit und des Krieges, dann ist der Mord an uns allen, wenn wir alt und altersschwach und damit unproduktiv werden, freigegeben.“ Ist das nicht auch die Problematik bei der aktiven Sterbehilfe und bei PID? Und ist nicht beim permanenten Skandal der Abtreibung, dem Supergau von heute (Kardinal Meisner), längst die Grenze überschritten, wo man mit von Galen fragen kann: „Hast du, habe ich nur solange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von anderen als produktiv anerkannt werden?“  

Es gibt auch heute nur einige Bischöfe und nur wenige „C-Politiker“, die den Skandal und die Verfemung in der veröffentlichten Meinung nicht fürchten. Schon in seinem ersten Hirtenbrief vom Tag seiner Bischofsweihe, dem 28. Oktober 1933, machte von Galen deutlich, daß die Pflicht zur Entscheidung über erforderliche Weisungen und Warnungen für seine Diözese allein auf ihm und seinem Gewissen laste. Niemand könne sie ihm abnehmen: „Nicht Menschenlob, nicht Menschenfurcht soll mich jemals hindern, diese Pflicht zu erfüllen.“ Die Enthüllung der Wirklichkeit verlangt Mut. Der Mut aber ist das Geheimnis der Freiheit, wie schon Perikles in seiner berühmten Begräbnisrede sagte. Das gilt für alle Zeiten.


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